Marko Hofmann
Der Aufklärung hinterher gereist
Der Leistungskurs Geschichte zu Besuch in Reckahn
Adolph Freiherr von Knigge, deutscher Jurist, Beamter und Satiriker des 18. Jahrhunderts meinte einst zum Reisen gehöre Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen, und dass man sich durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lassen würde.Mit diesem Wissen trat der Leistungskurs Geschichte der Klasse 11 neulich seine Exkursion an....
An einem Samstagmorgen, um 8:00 Uhr in der Frühe trafen wir uns für die Geschichtsexkursion, mit dem entsprechenden Leistungskurs, gen Reckahn bei Werder an der Havel. Alle 13 Schüler, frisch wie der Morgentau, sowie unser Tutor Herr Däßler stiegen in den Bus und die Exkursion begann.
Nach einer ca. zwei stündigen Busfahrt, bei der fast die ganze Busbelegschaft schlief, kamen wir im kleinen Ort Reckahn an, genauer gesagt am Schloss Reckahn. Das Schloss Reckahn wurde 1730 fertig gestellt und beherbergt heute ein Museum, das sich dem Werk des Agrar-, Bildungsreformers, Philanthropen und Aufklärer Friedrich Eberhard von Rochow widmet.
Insofern passte die Dauerausstellung mit dem Titel Vernunft fürs Volk genau richtig.
Quasi als Einstieg gab es gleich zu Beginn ein fiktives Gespräch zwischen Friedrich Eberhard von Rochow, seiner Frau Christiane Louise von Rochow sowie dem preußischen Bildungsminister und dem Fürst von Anhalt-Dessau, welches basierend auf dem Briefverkehr der Protagonisten nachgestellt wurde. In diesem Gespräch ging es dann auch um Reformen für die preußische Region – ganz im Zeichen der Aufklärung.
Besonderen Fokus legte die Ausstellung auf die Bildungsreformen von Rochows, der 1773 die erste Landvolksschule Europas gründete, um Kinder von Bauern einen höheren Bildungsstand zu ermöglichen. Diese Dorfschule war bis zum Kaiserreich eine Schule, in der, dem philanthropischen Vorbild folgend, ohne Gewalt unterrichtet wurde und die Kinder mithilfe eines Buches, das von Rochow selbst geschrieben wurde, lernten. Dieser "Kinderfreund", so der Titel, war eines der ersten Schulbücher weltweit. Das Konzept der Schule war damit auch Vorreiter für die Ideen Maria Montessoris und verbreitete sich über ganz Europa.
Nach der Führung ließen wir uns im angrenzenden Schlosspark zu einem Picknick nieder. Jeder aus dem Kurs hatte etwas zu Essen mitgebracht, und Herr Däßler spendierte Club Mate Tee und Wasser, sodass ein vielfältiges Buffet entstand. Des Anstands halber wurden zuerst die Salate und anderen herzhaften Sachen gegessen, aber am Ende waren die Überlebenschancen der Chips und Schokoriegel doch eher gering. Während wir also aßen, tranken, unsere Eichel-Zielwurf-Künste perfektionierten, und unser Beisammensein als Leistungskurs Geschichte feierten, wurde nebenan im Schloss geheiratet.
Gut gelaunt packten wir etwas später wieder zusammen, und machten uns auf den Weg zu der Kirche, wo Rochows Freund und Helfer, der Lehrer Heinrich Julius Bruns begraben liegt. Unterwegs kamen wir an einem Denkmal vorbei. „Die Toten beider Weltkriege mahnen.“, lautete die Innschrift, und ließ uns darüber nachdenken, wie unklar die Grenzen zwischen geschichtlichen Ereignissen doch sind. Auf der einen Seite ein Museum für einen Aufklärer, dessen philanthropischen Ideen die Bildung, und auch unser Montessori-Schulprinzip, heute noch prägen, auf der anderen Seite ein Denk- und Mahnmal, das an Fehler der Vergangenheit, und die Bemühungen diese in der Zukunft zu vermeiden, erinnert, und zwischen drin wir Schüler, die all dies nachzuvollziehen und zu reflektieren versuchten. Nachdem wir Bruns Grab unseren Respekt erwiesen und das Glück gehabt hatten, die Kirche zu besichtigten, gingen wir die Straße hinunter zum Schulhaus.
Dort verschafften wir uns erst einen kurzen Überblick über die Räumlichkeiten (tatsächlich waren die Schulen im 18. Jahrhundert ganz anders als heute; z. B. bewohnte der Lehrer das Gebäude) und dann erhielten wir eine Schulstunde in dem Stil, wie Bruns und Rochow sich ihn einst erdachten. Mädchen und Jungen saßen auf verschiedenen Seiten des Klassenzimmers. Um „Fräulein Lehrerin“ zu begrüßen, mussten alle aufstehen, die Füße nebeneinander stehen und die Hände gefaltet sein. Im Unterricht lernten wir dann Lesen (es war erfreulich, dies in der 11. Klasse endlich mal zu lernen), Sütterlin mit Griffeln auf Schiefertafeln schreiben, und Rechnen (mit Rechenarten, die man tatsächlich anwenden könnte).
Nach der Schulstunde sahen wir uns noch ein paar Ausstellungsstücke im Haus an, allerdings mussten wir uns sehr beeilen, denn Polizisten warteten mit ihren Hunden darauf, das Gebäude für unseren Bundeminister des Auswärtigen, Frank Walter Steinmeier, zu sichern, damit er später die gleiche Besichtigung wie wir machen konnte. Und weil wir unserer hoch geschätzten Polizei keinen Grund zu irgendwelchen Annahmen geben wollten, ließen wir uns schließlich verscheuchen und fuhren voller neuer Eindrücke mit unserem Bus über eine „wunderbar“ ausgebaute brandenburgische Straße – das Kopfsteinpflaster in Sachsen ist ebenmäßiger – zurück nach Leipzig mit der Gewissheit, dass das Universalgenie Johann Wolfgang von Goethe wie immer recht hatte, als er 1795/6 im 2. Kapitel seines Buches Wilhelm Meisters Lehrjahre schrieb, dass ein gescheiter Mensch die beste Bildung auf Reisen findet.